Nach dem anfänglichen Schock über Novas Diagnose begann eine temporeiche Zeit.
Sofort nach Novas Geburt wurde sie in ein anderes Krankenhaus überstellt, welches 80 km entfernt liegt und über eine Neonatologieabteilung verfügt. Linus und ich durften erst am nächsten Tag mittels Spezialtransport folgen, da man mich nicht direkt nach dem Notkaiserschnitt transportieren wollte. Erst in dem zweiten Krankenhaus, also ca. 20 Stunden nach Novas Geburt, erfuhren wir, dass Novas Aussehen einen Namen hatte: eben Arthrogrypose. Ich dachte ja in meinem Morphiumtaumel (ich bekam 5 Tage lang Morphium), dass die massiven Gelenksmissbildungen nur vorübergehend sind und sich schon alles irgendwie einrichten wird. Die Nachricht, dass es sich um eine seltene Diagnose handelt, die Nova ihr Leben lang beeinträchtigen würde, veränderte unser Leben.
Nova, 2 Tage alt:
Viel Zeit zum Schockiertsein blieb uns aber nicht, denn unmittelbar nach Bekanntwerden der Diagnose lief eine medizinische Maschinerie an, mit der ich nicht gerechnet hatte. Am Tag 6 in Novas Leben bekam sie bereits ihr erstes Gipspaar verpasst.
Diese Gipstherapie nach Ponsetti ist eine Standardtherapie bei normalen Klumpfüssen. Bei AMC sind aber die Gelenksmissbildungen immer durch Kontrakturen bedingt, das beutet, dass die Gelenke oft sehr steif und schwer zu korrigieren sind. Novas Seriengipsbehandlung dauerte fast 4 Monate, jede Woche wurde neu eingegipst. Dadurch, dass Novas Knie auch steif waren, rutschten die Gipse oft einfach herunter und zusätzlich zu den normalen wöchentlichen Gipsmontagen musste ich oft zwischendurch noch mit ihr ins Krankenhaus, um den heruntergerutschten Gips zu ersetzen. Auch nicht einfach, da nur wenige Orthopäden auch die AMC und ihre Eigenheiten kennen.
Am Tag 8 in Novas Leben, bekam sie ihre ersten Handorthosen von Ergotherapeuten angepasst. Das waren speziell für Novas Hände hergestellte Plastikschienen, die sie Nachts tragen musste und die ihr Handgelenke korrigieren sollten. Auch diese Orthosen mussten immer wieder angepasst und kontrolliert werden. Diese Behandlung war ein voller Erfolg, denn mit 22 Monaten waren ihr Hände so schön, dass sie seither keine korrigierenden Massnahmen mehr ertragen muss. Auch eine OP ist laut Handchirurgin wahrscheinlich nicht nötig.
Irgendwann kam dann auch eine Logopädin ins Bild, da auch Novas Kiefergelenke geringgradig eingeschränkt sind. Man sieht es heute nur, wenn sie gähnt, dass sie den Mund nicht ganz aufbekommt, aber das hindert sie weder am Essen und ganz sicher nicht am Plappern und Reden.
Mit der Zeit begriff ich, dass das Team um Nova ziemlich groß geworden war:
- Ein Kinderneurologe, der Novas Haupt-Rehaarzt ist und sozusagen die Spinne im Netz darstellt. Er koordiniert alle Therapien, alle Behandlungen und alle Journale laufen bei ihm zusammen.
- An seiner Seite eine Kinderkrankenschwester, die Nova misst und abwiegt und die Daten sammelt.
- Eine weitere Krankenschwester, die auf der Kinderabteilung des Krankenhauses für alle „normalen“ Krankheiten zuständig ist (wie z.B. die Influenza, die wir vor einem Monat alle hatten), plus die auch alles, das mit Novas Gastrostomie zu tun hat, koordiniert.
- Eine dritte Krankenschwester, die in unserer ganz normalen Ärztezentrale Novas Entwicklung ausserhalb ihrer Diagnose kontrolliert und koordiniert: Impfungen, Augen, Gehör, usw, alles, was ganz normale Kinder auch machen müssen.
- Eine oder mehrere Diätologen, die mich samt und sonders nur enttäuscht und im Stich gelassen haben.
- Novas Orthopädin, diese wunderbare und kompetente Ärztin, die ganz massgeblich dafür verantwortlich ist, dass Nova heute mit Hilfsmitteln gehen kann.
- Die Physiotherapeutin, eine weitere Schlüsselfigur in Novas Leben. Eine unheimlich engagierte und kompetente Frau, die immer wieder sehr kreativ neue Wege für Nova findet.
- Zwei Ergotherapeutinnen, die sich um Novas Hände, Arme und einen Teil der Hilfsmittel wie Rollstuhl, Spezialsessel, spezielles Topferl usw. kümmern.
- Eine Handchirurgin, die einmal im Jahr Novas Hände kontrolliert.
- Eine geniale Orthopädietechnikerin, die für Novas Schienen und Orthosen verantwortlich ist.
Das ist der Kern des Teams. Wir haben natürlich noch ganz viele andere Menschen getroffen, die uns geholfen haben, aber die oben genannten sind die wichtigsten.
Als Nova dann ein halbes Jahr alt wurde und die Seriengipsbehandlung nicht den gewünschten Erfolg gezeigt hat, beschlossen wir gemeinsam mit Novas Orthopädin, dass Novas Füsse operiert werden sollen.
Es war eine mehrere Stunden dauernde Operation, bei der einiges an Weichteilgewebe durchtrennt wurde, u.a. auch die Achillessehnen, und wo mit einem bzw. zwei Stiften die Füsse fixiert wurde.
Ich hatte die ganze Zeit die Fassung bewahrt, aber Novas Anblick, als ich sie während des Aufwachens beobachten durfte, hat mir die Kehle abgeschnürt.
So zerbrechlich hat sie ausgesehen…
5 Tage lang hing sie an der Morphiuminfusion, sie durfte keine Sekunde aus den Augen gelassen werden. Natuerlich hatte sie auch wieder beide Beine eingegipst, diesmal für 6 Wochen.
Aber auch diese Zeit ging vorbei, Nova hat sich gut erholt. Für mich hat es etwas länger gedauert, um diese und die weiteren OPs zu verdauen. Darüber zu schreiben, hilft mir, dieses Kapitel abzuschliessen.
Die ersten sechs Monate waren geprägt von fast täglichen Krankenhausbesuchen, Therapiesitzungen, Kontrollen, Behandlungen usw. Erst nach 13 Monaten hatten wir zum ersten Mal eine ganze Woche keinen einzigen Termin, ich kann mich daran noch ganz genau erinnern. Uns ist also für „Bonding“, Kuscheln, Schmusen, in Ruhe am Sofa sitzen und Stillen, Spielen und einfach nur das Wunderbaby beobachten, nicht sehr viel Zeit geblieben. Ich habe tatsächlich erst nach 7 oder 8 Monaten begonnen, Nova als Menschen zu begreifen und kennenzulernen.
Nun sitz ich hier voller Tränen in den Augen und weiß gar nicht was ich schreiben soll. Die arme kleine Nova. Ich war bei unserem Zwerg damals schon ein Wrack, weil er starke Sichelfüße hatte und gleich am Tag der Geburt Gips bekam. Aber das ist ja echt pillepalle zu eurer Diagnose.
Wünsche euch ganz viel Kraft!
xo & liebste Grüße, Sina
http://CasaSelvanegra.com
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Danke Sina. Die Lage hat sich aber sehr beruhigt, Nova hat in diesen Wochen ihre ersten Schritte mit Hilfe eines Gehwagens gemacht und sie kann schon ganz lange stehen. Ausserdem ist sie superklug, eine kleine, selbstbewusste Quasseltante, die alle herumkommandiert. Ich werde später darueber bloggen, Du wirst sehen, sie ist jetzt nicht mehr arm (nur sie glaubt das manchmal 😉 )
LG
Isa
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